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#2.6 Gemeinsam rund Rügen

Autorenbild: ThomasThomas

⌘ 5.-17.5.2022, Rügen (D)

Rund Rügen. Ein Klassiker, den auch wir segeln wollen. Durch die kurzen Schläge kann sich Shaima langsam wieder ins Bootsleben finden und ich mich daran gewöhnen nicht mehr allein an Bord zu sein. Den Törn über wird deutlich, wie wichtig diese Zeit tatsächlich ist und wie anspruchsvoll das neuerliche Zusammenfinden. Am Ende der Runde werden wir 92,6nm in sechs Etappen und zwölf Tagen zurückgelegt haben und wieder eine Einheit bilden.

Wozu eigentlich planen?

Endlich wieder vereint, wollten wir uns einen gemütlichen ersten Abend an Bord machen. Nur wir zwei und Judy natürlich. Aber wie es so ist...Pläne gehen als erstes über Bord...kurz vor meiner Abreise nach Hamburg, habe ich Moritz und Felix kennengelernt. Zwei Segelneulinge die nach Werkzeug und Rat für Ihren Motor fragten.

Ich hatte Shaima bereits von meiner Begegnung mit den beiden erzählt. Zwei Psychologiestudenten. Anfang Zwanzig. Segelneulinge. Einer eher ruhig, der andere die Kontaktfreude in Person.

Wir kommen also bepackt wie Lastenesel an den Steg und wen sehen wir dort? Felix und Moritz! Verwundert kommen wir direkt wieder ins Gespräch, denn die beiden wollten schon längst weiter gefahren sein. Ein Thema folgt dem Anderen und schwups sitzen wir zu Viert bei einem Schlückchen bei uns im Cockpit. Auf den Schnaps folgt der Hunger und nach einigem Hin und Her geht es in die Rockeria direkt am Hafen: Burger, Fritten, Cocktails und Bier.

Kurzum: eine gelunge Wendung. Die Burger und Beilagen waren lecker, das Bier und die Drinks köstlich und die Gespräche rund ums Segeln, Reisen und die psychologischen Gedankenspiele angeregt und spannend.

Für Shaima der Beweis, dass Segeln nicht unbedingt soziale Mangelernährung bedeutet. Im vergangen Jahr kam es ihr streckenweise so vor. Wir ankerten sehr viel und die Menschen blieben wegen Corona eher auf Abstand. Obendrein beweisen die beiden, dass auch junge Leute segeln...wenn auch wenige. Ein gelungener Start!

Am nächsten Tag kommt der rettende Mechaniker und die beiden können endlich aufbrechen. Einige Tage später erreicht uns eine Nachricht: Sie sind gut und ohne weitere Zwischenfälle angekommen.

Wir bleiben noch anderthalb Tage und treiben uns in der Altstadt herum. Schlendern entlang der Promenade und erledigen nebenbei noch ausstehende Aufgaben. Proviantierung, Riggcheck, Wasser bunkern, grobe Routenplanung usw.


Wamper Wiek - offizieller Start der Umrundung

Dann sind wir uns einig: die Marina hat genug Geld mit uns verdient und wir verschwinden. Nach Durchfahrt der Ziegelgrabenbrücke sind es keine zwei Meilen bis in ein kleines Paradies. Die Einfahrt ist etwas tricky, ziemlich eng und stellenweise sehr flach.

Shaima steht am Bug und gibt den Kurs vor, während ich am Ruder bin und das Echolot im Blick behalte. Einmal haben wir noch 80cm Wassertiefe, was bei uns 20cm zwischen Grund und Kiel bedeutet. Die berühmte Handbreit. Wir schaffen es ohne Berührung und liegen wenig später vor Anker und Heckleinen.

Eine schöne Zeit in der Abgeschiedenheit der Natur in einer seltenen Kulisse. Nach zwei Nächten brechen wir wieder auf. Der Wind passt und die mittlerweile eingetroffenen Locals geben uns nicht das Gefühl, dass sie Bock auf Fremde an "ihrem" Spot haben. Auch das kommt mal vor.


Klein Zicker - südöstlichster Punkt Rügens

Wir segeln entlang der Palmer Ort-Rinne, machen einen Stop vor Zudar und legen am folgenden Tag die restlichen Meilen nach Klein Zicker zurück. Wir segeln einmal quer über den Greifswalder Bodden, bis sich das Eisen in den schlickigen Grund des Zicker Sees gräbt. Dieser Ankerplatz ist landschaftlich sehr schön gelegen und kein Geheimtipp. Wer sich hier aufhält sollte die Regeln und freiwilligen Vereinbarungen beachten, denn man befindet sich inmitten des Biosphärenreservates Südost-Rügen (Link zum WWF-Flyer).

Der Ort selbst und das angrenzende Thiessow sind wenig interessant und bestehen weitestgehend aus Ferienunterkünften. Dienstag und Donnerstag ist Trubel in dem sonst verschlafenen Örtchen, denn es ist "Rügen-Markt". Ein Kunsthandwerkermarkt im Hafen von Thiessow, mit einem bunten Angebot. Vom leckeren Brot aus dem Steinofen, über lokale Spezialitäten bis hin zu einigem Kuriosen ist alles vertreten. Trotzdem, die Hauptrolle übernimmt hier die Natur.

Ein schönes und ruhiges Fleckchen Erde, mit sehr viel geschützter Natur. Wir vertrödeln hier insgesamt drei Nächte, ehe es uns nach Sassnitz verschlägt.


Sassnitz - Liegen an der längsten Außenmole Europas

Es wird mit 26,6nm der längste Schlag der Runde und endlich mal wieder ein Stück auf der offenen Ostsee. Naja, zumindest an Steuerbord. Backbords ist die Küste Rügens immer nah.

Bis auf ein paar Schlenker um die Netze der Fischer geht es schnurstracks dem Ziel entgegen.

Etwas zur Verärgerung Shaimas machen wir längsseits der Mole fest. Zugegeben, man liegt schon etwas abseits und hat einen kleinen Marsch zu den Duschen. Andererseits ist der Blick über den Hafen unverbaubar, der Platz ist preisgünstiger als zwischen den Dalben und wir können zudem behaupten, an der längsten Mole Europas geschlafen haben. Wenn das keine Argumente sind, was dann?!

Noch immer etwas negativ beeindruckt durch die Erfahrung in Stralsund, gehe ich nach dem "Anleger" (ein Schnaps nach dem Anlegen, auch "Festmacher" oder "Manöverschluck" genannt) zum Hafenmeister um unser Liegegeld zu zahlen. Doch der Versuch am Abend missglückt. Die Öffnungszeiten sind wohl eher locker anzusehen und so klappt es erst beim zweiten Versuch Tags drauf. Der gute Mann hinterm Tresen ist entspannt, erfragt die üblichen Daten und ist sogar zu einem kleinen Plausch aufgelegt. Obendrein erlässt er uns die vergangene Nacht mit den Worten: "Na ihr wart ja erst so spät da!" 18Uhr ist also spät...na gut, das erklärt vielleicht, wieso am Vorabend niemand anzutreffen war (Öffnungszeit laut Aushang: 17-20Uhr).


Einst Kaiserbad, heute Touristenmagnet

Als einstiges Kaiserbad macht die Altstadt etwas her und lädt zum Bummeln ein. Kleine Galerien reihen sich neben Kunsthandwerkerlädchen und Cafes. Beschaulich ist es, was vielleicht auch der Nebensaison geschuldet ist. Abseits des alten Kerns findet man einige Bausünden der neueren Zeit und den üblichen Touri-Kram.

Der Hafen selbst hat seinen rauen Charme noch weitesgehend erhalten können, wenngleich heute Ausflugsdampfer und Freizeitboote das Bild dominieren. Die Fischerei besetzt nur noch eine Nebenrolle. Die neuen Bestimmungen und Fangquoten setzen ihnen wohl zu.

Einen Besuch ist Sassnitz in jedem Fall wert und das aufgerufene Liegegeld mehr als fair!

Wer mehr über die Geschichte des Ortes und des Hafens wissen möchte, bemüht bitte Google. Da haben sich bereits einige Leute viel Mühe gegeben.

Und wer ein gutes Fischlokal sucht, dem empfehlen wir ganz klar das Lokal "Gastmahl des Meeres" unweit des Hafens. Leckere Gerichte, gutes Bier und eine sehr patente Bedienung!


Kap Arkona - Rügens Nordspitze

Vier Nächte verbringen wir in Sassnitz ehe uns wieder nach Ruhe und Ankern ist. Das Ziel ist das Kap Arkona und so kreuzen wir bei sehr wechselhaften Winden entlang der Küste vorbei am berühmten Königsstuhl. Wir genießen es sehr, diesen doch sehr exklusiven Anblick auf den Felsen erleben zu dürfen. Gleichzeitig schmunzeln wir über die Situation, denn im selben Moment quatschen wir mit Martin via Facetime...verrückte moderne Welt.

Kaum ist der Kreidefels passiert, wird aus dem Wind ein laues Lüftchen und wir kommen nur noch mit knapp einem Knoten voran. Wir haben die Wahl: gute fünf Stunden kontrolliert treiben oder knappe fünfzig Minuten motoren. Nach etwas Hin und Her, geht heute der Diesel als Gewinner hervor und so gräbt sich keine Stunde später der Anker in den sandigen Grund. Wir blicken nördlich auf die Steilküste mit dem Kap Arkona und direkt westlich liegt das denkmalgeschützte und beschauliche Fischerörtchen Vitt. Ein schöner Ankerplatz in toller Kulisse. Zufrieden lauschen wir der Stille, erfreuen uns an der absolut glatten Ostsee und dem heute besonders groß aufgehenden Mond. Abermals verspüren wir pures Glück.

Nach einer erholsamen Nacht bin ich ungewöhnlich früh wach. Shaima säuselt noch entspannt in ihr Kissen. Ich nutze die Gunst der Stunde, schnappe mir Judy und kurz darauf finden wir uns am Strand wieder. Wir toben herum, erklimmen das Kap über eine viel zu steile, mit viel zu vielen Stufen versehene Treppe und spazieren mit tollem Ausblick entlang der Küste. Bis auf einen Mountainbiker, der sein verlorenes Handy sucht, treffen wir keine Menschenseele. Er hat Glück, denn kurz zuvor habe ich es am Wegesrand im Gras entdeckt und an einen offensichtlichen Platz gelegt. Wir plauschen kurz, ehe er sich überglücklich wieder auf seinen Drahtesel schwingt und davon radelt. Eine gute Tat am Tag: Check!

Es wird immer wärmer und Judys Zunge immer länger. Wir machen uns auf den Rückweg. Dort angekommen wartet die mittlerweile wache Shaima mit frischem Kaffee. Heute läufts!

Wir sitzen im Cockpit und beobachten, wie sich immer häufiger, mal mehr, mal minder laute Gruppen über den Strand in Richtung Kap bewegen. Dabei wird uns klar, dass das hier doch ein Touri-Hotspot ist und meine stille Gassirunde wohl ein Glücksfall.


Und immer wieder fällt der Anker vor den Bug

Die Windvorhersage hält, was sie verspricht und unsere Geduld am Morgen zahlt sich aus. Auf die absolute Flaute folgt eine angenehme Brise aus Osten. Die Wahl der Besegelung fällt damit leicht: Blister und Groß. Achterliche Winde, keine Welle, kein Schaukeln und dennoch gutes Vorankommen: "Champagne sailing", heißt das wohl neudeutsch.

Für mich schließt sich hier bereits die Runde um Rügen. Am 17.4. fiel der Anker nur einige Meter südlich, als ich bei absoluter Flaute aus Gedser (DK) hier ankam. Innerhalb weniger Wochen sind wir erneut und dieses mal gemeinsam vor der schmalen Landzunge namens Bug. Von hier geht es am nächsten Tag außen um die Insel Hiddensee wieder hinein in die Boddengewässer. Auf diesem Abschnitt lässt sich Shaima auch wieder leicht für den Job am Ruder begeistern. Schmale sich windende Fahrwasser, teilweise Stromversatz, Seezeichen peilen, häufige Kurs- und Segelanpassungen, entgegenkommende Boote und insgesamt mehr zu gucken. Das ist nach ihrem Geschmack. So rauschen wir gen Süden, reffen vor Stralsund die Segel um zur rechten Zeit an der Ziegelgrabenbrücke zu sein. Schließlich motoren wir den kurzen Weg wieder ins "Baggerloch". Unsere gemeinsame Runde ist nun komplett und wir beide wieder eine Einheit.

Unsere Stimmung scheint sich zu übertragen, denn auch die vormals stillen und nicht zurückgrüßenden Einheimischen, erwidern nun lächelnd und freundlich.


Keine einfache Umrundung

Der neuerliche Einstieg endete beinahe in einem Ausstieg. Shaima fiel das Einleben an Bord und Pausieren des Lebens in Hamburg besonders schwer.

Durch die räumliche Trennung über den Winter und die Einhandtour zu Beginn haben wir uns auch gefühlsmäßig distanziert. Wir waren uns unserer Beziehung zu sicher, was uns beinah selbige gekostet hätte. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen...auch wenn wir hier unseren Traum leben, so scheint auch bei uns nicht durchgehend die Sonne. Die mit dem Segeln einhergehende Isolation, die Distanz zu den Liebsten und der fehlende Austausch mit gleichaltrigen Langfahrern setzt mal mehr mal minder zu. Umso wichtiger und erfreulicher ist es, dass wir beide nach langen und schwierigen Gesprächen wieder zueinander gefunden haben und stärker sind als je zuvor.






 

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