⌘ 10.-19.4.2022, Ærøskøbing (DK), Großenbrode (D), Gedser (DK), Rügen (D)
Der Westwind weht mit 27kn eine Portion zu stark um gemütlich zu sein. Der vorhergesagte Dreher auf beständigen Wind aus Ost schmeckt mir aber noch weniger. Ich möchte nach Südosten und so weht es immerhin achterlich. Also los! Klamotten in Zwiebeltechnik, reichlich heiße Getränke, vorbereitetes Essen, 2. Reff in Groß- und Vorsegel und noch immer kein Autopilot.
Auf nach Großenbrode
Dem Problem mit dem Autopiloten bin ich noch immer nicht auf die Schliche gekommen. Das Wälzen der Handbücher und diverser Internetforen war bislang ohne Erfolg. Einzige Hoffnung: Immer wieder berichten Leute von einer "Wunderheilung". Vielleicht habe auch ich dieses Glück?! Noch zögere ich, die Profis zu kontaktieren.
Ari läuft normalerweise auch ohne Autopilot relativ gut geradeaus, die heutige Hackwelle und der böige Wind verhindern das aber. Ich habe gut zu tun.
Wir wählen den Weg durchs schmale Fahrwasser nördlich von Ærø. Vorbei geht es mit 5-6kn an Birkholm und Store Egholm. Wenig später folgt Bredholm und schon kreuzen wir in engen Schlägen gen Marstal. Hier lasse ich die Maschine zur Sicherheit mitlaufen, denn das Fahrwasser ist eng, direkt daneben wird es arg flach, der Strom drückt merklich und obendrein muss hier noch eine Fähre überholen. Naja, manchmal kommt eben einiges auf einmal.
Ein paar Meilen später finden wir uns in Marstal Bucht wieder und haben allen Platz. Gleichzeitig nimmt die Welle zu und der Wind frischt weiter auf. Wir gewinnen an Fahrt und sind mit deutlich über 7kn unterwegs. Einige Wellen können wir "surfen" und finden so eine gute 9 auf dem Display. Die Berufsschifffahrt bleibt immer in weiter Ferne und Sportboote sind keine zu sehen. Als wahres Geschenk erweisen sich mal wieder die Noise cancelling-Kopfhörer. Mit guter Musik und ohne das Rauschen von Wind und Wasser wirken 30kn+ gleich viel entspannter. So gehen die Stunden dahin. In der Ansteuerung zum Fehmarnsund wird es zunächst deutlich ruppiger, ehe es sich im Sund sortiert und beruhigt. Wir nehmen direkten Kurs auf die Brücke und nach einiger Zeit ist auch diese passiert.
Der letzte Abschnitt beginnt: Ansteuerung Großenbrode. Kaum ist der Kurs gesetzt, zieht es dunkel auf...Erinnerungen, die gerade mal eine Woche alt sind werden wach. Dieses mal frischt der Wind aber direkt auf. Also fahre auch ich eine andere Taktik, die ich schon lange ausprobieren wollte: das Beiliegen. Ich drehe bei, stelle das Ruder luv, fiere das Groß und lasse das Vorsegel back stehen. Nun beobachte und hoffe ich, dass es klappt, denn der Regen setzt ein. Es klappt! Das Boot liegt stabil, während es ruhig nach Lee driftet. Judy und ich verschwinden unter Deck und lassen das Wetter mal machen. Zeit für einen Tee und Snacks. Judy bekommt ein ordentliches Stück Gurke, gefolgt von einer Möhre. Mit dem letzten Schluck Tee beruhigt sich auch draußen die Lage. Leider so sehr, dass auch der Wind stirbt. So geht es unter Motor die letzten zwei Meilen zum Ankerplatz, wo wir die nächsten Tage verbringen.
Der Großenbroder Binnensee - alles hat zwei Seiten
Zunächst das Gute: Aufgrund seiner Lage findet man bei jeder Windrichtung einen sehr geschützen Ankerplatz. Will man nicht ankern, hat man die Wahl zwischen einem Kommunalhafen, einem Hafen des Segelvereins und zwei Marinas (eine davon mit angeschlossener Werft). Das wars leider auch schon mit dem Guten. Wer ankert, sollte den Halt ordentlich prüfen. Wiederholt und insbesondere nach Winddrehern, denn der Grund ist vielerorts verkrautet. Wir hatten selbst mehrmals Probleme beim Einfahren und sind auch später mal auf Drift gegangen. Zudem haben wir im letzten Jahr einige Boote beobachtet, denen es ähnlich erging. Außerdem gibt es einen Bereich zum Wasserskifahren, Wakeboarden etc. Von dort dringt vor allem zur Ferienzeit und an den Wochenenden Schwell und Motorengeräusch zum Ankerlieger vor. Ankeridylle sieht anders aus. Gleichfalls gibt es auch viele ruhige Momente und man "leidet" auf hohem Niveau.

Der Ort: Großenbrode
Der Ort, die Promenade und die Umgebung sind leider wenig reizvoll und es gibt wenig zu entdecken. Einzig der auf dem ehemaligen Marinegelände angelegte Wald-Erlebnis-Pfad ist ganz schön und liebevoll angelegt.

Ebenso wirken die Menschen genervt bis gestresst. Eine seltsame Stimmung, die wir schon im letzten Jahr gespürt haben, bestätigt sich leider. Wir haben sie "Urlaubsstress" getauft. Die Lage und Infrastruktur mit Segelmacher, Werft, Autobahnanschluss etc. ist für Wassersportler sehr reizvoll, ansonsten gibt es von uns leider keine Empfehlung.
Auf gen Osten
Nach vier Tagen weht es endlich wieder aus West: Also nichts wie weg hier! Das Ziel ist heute entweder Rostock oder Gedser. Ich möchte zunächst Strecke machen und dann entscheiden. Rostock ist etwas näher, dafür bietet Gedser den besseren Ausgangspunkt um bei den vorhergesagten Winden nach Rügen zu gelangen.
Noch auf dem See stehen die Segel, wobei "stehen" etwas überzogen ist. Das laue Lüftchen kann sie noch nicht so recht überzeugen. So motore ich als Pseudosegler durch die enge Ausfahrt. Danach packe ich sofort den Blister aus und es geht ganz passabel vorwärts. Nach einigen Stunden, der Wind hat inzwischen aufgebrist und etwas gedreht, muss ich mich entscheiden...Gedser oder Rostock? Da wir gut voran kommen, geht es nach Gedser. Der südlichste Punkt Dänemarks versprüht einen größeren Reiz als der große Hafen und Trubel Rostocks.
Auf dem Weg dorthin müssen noch zwei Tiefwasserwege gekreuzt werden. Außerdem schrammen wir dicht an einem Verkehrstrennungsgebiet vorbei und der Fährverkehr Gedser-Rostock will auch beachtet werden. Zwei Frachtern gehe ich frühzeitig aus dem Weg, zusätzlich stottert der Wind mittlerweile. An, aus, an, aus. So geht es eine ganze Weile, bis er komplett weg bleibt. Ich warte ab, packe dann doch mürrisch zusammen und motore. Nach einer halben Stunde kehrt der Wind dann doch wieder zurück. Gleichmäßige 20kn aus Nord-West. Ich bin misstrauisch, will aber lieber segeln, als dem Diesel zuzuhören. Also alles retour: Segel raus, Diesel aus! Der Wind bleibt und so segeln wir, bis die Ansteuerung Gedsers achteraus liegt. Die Dämmerung ist da bereits nahezu durch. Somit öffnet sich ein letztes spannendes Kapitel. Wir müssen uns durch das unbefeuerte und relativ schmale Fahrwasser zum Yachthafen hangeln, was sich dank der modernen Technik als kein großes Problem herausstellt. Ein Hoch auf GPS, Plotter und starke LED-Taschenlampen! Dennoch, jeden Tag brauche ich das nicht.
54° 33' 32" Gedser - der südlichste Punkt Dänemarks
Ja, den hatte ich mir irgendwie schöner vorgestellt. Ohne den Fährhafen, wäre hier wahrscheinlich gar nichts los. Alles sieht recht trostlos und von der Zeit vergessen aus. Nur einige Häuser und ihre Bewohner scheinen dem zu trotzen. Hier und dort gibt es einen Versuch, den Ort zu verschönern, aber die Tristes überwiegt. Auch der Frühling, der gerade Vollgas gibt, kann das nicht überdecken.
Der Yachthafen hingegen ist gut in Schuss und recht hübsch gelegen. Das Sanitärgebäude ist zwar älteren Semesters aber gepflegt. Zudem stehen Saunawagen am Hafen mit wunderbarem Blick über selbigen und die Bucht. Für Saunaenthusiasten ein Fest.
Insgesamt verbringen Judy und ich hier drei Tage. Wir erkunden die nahe als auch fernere Umgebung, helfen einem dänischen Paar mit ihrem streickendem Anlasser, genießen ein wenig Hafenkino, laufen zum echten südlichsten Punkt und warten auf den passenden Wind.

1. Highlight des Aufenthalts: Wunderheilung! Der Autopilot ist "repariert"! Magnete und Kompasse sollten immer ausreichenden Abstand zueinander haben. Zum Glück habe ich den Fehler noch selbst gefunden und keinen Profi kommen lassen. Das wäre peinlich geworden! Ich habe eine Magnetleiste für Messer unwissend nahe des Kompasses aufbewahrt.
2. Highlight: Die Pizza des wenig vertrauenserweckenden Imbisses "Gedser Pizzaria" direkt an der Hauptstrasse ist ziemlich gut.
3. Ein kleiner Skulpturen-Park mit schöner Botschaft auf dem Weg zum südlichsten Punkt.
Kein Wind ist besser als Gegenwind
Die Vorhersage für heute ist mies. Für die kommenden Tage aber noch viel mieser.
Heute 3-6kn aus West, die nächsten Tage dann stramm aus Ost. Soviel zum Thema "verlässliche Windvorhersage". Es nützt nichts. Wir brechen auf. Einen kläglichen Versuch unter Blister breche ich nach einer Stunde ab. Geschaffte Distanz: 1,5nm von 47nm. Also brummt der Diesel und der Autopilot kann sich beweisen. Seine Pause war lang genug. So motoren wir stundenlang dahin. Außer ein paar großen Schiffen am Horizont und dem Windpark EnBW Baltic1 ist nicht viel zu sehen. Dafür gibt die Sonne alles und ich kann etwas für die streifenfreie Bräune tun. Um 20:30Uhr sind wir schließlich am Etappenziel und mit dem Sonnenuntergang betreten Judy und ich Rügen. Ein schönes Panorama mit Hiddensee und seinem Leuchturm Dornbusch.

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