⌘ 04.07. - 15.07. Finnhamn (SWE) - Ålandinseln (ALA)
Morgen soll sich perfekter Wind für den Sprung rüber zu den Ålandinseln einstellen. Gleichmäßige obere vier Beaufort (13-15kn) aus WNW. Das bedeutet halber bis leicht achterlicher Wind und ist genug um zügig zu segeln, aber immer noch zu wenig, um eine nervige Welle aufzubauen. So wollen wir das!
Krogen, nochmal...
Bevor wir Finnhamn verlassen und uns in Position bringen, zieht es uns erst nochmal in den „Krogen“. Es hat uns dort so gut gefallen, dass wir mehr von diesem Gefühl wollen. So finden wir uns nach einer großen Runde mit Judy auf der gemütlich-sonnigen Holzterrasse ein. Schlürfen unsere köstlichen Cappuccini und genießen jeden Bissen unserer Toast „Skagen“. Gleichzeitig ziehen die Boote lautlos durch das nahe Fahrwasser. Judy liegt friedlich unter dem Tisch und döst vor sich hin. Herrlich!
Die Kellnerin vom Vorabend ist auch schon wieder an der Arbeit. Heute morgen ist Zeit für einen längeren Plausch. Sehr sympathisch und interessant die aufgeweckte Spanierin.
Gerne hätten wir noch mehr über sie Erfahren, aber auch das gehört zum Segeln und Reisen dazu. Immer wieder lernt man neue Menschen kennen und immer wieder muss man sich verabschieden. Bei vielen Begegnungen bleibt es der nette aber flüchtige Smalltalk. Mit Wenigen spürt man eine Verbindung und ein Wort gibt das Andere. Eine solche Verbindung wieder zu kappen, ist jedes Mal unangenehm. Manchmal tauschen wir trotzdem ganz bewusst keine Kontaktdaten, um uns klar zu machen, dass das Kommen und Gehen zum Leben dazugehört.
Wir haben dieses Wissen und Können in unserer modernen Welt verlernt. Jeder kann jeden jederzeit erreichen und das bewusste Ende einer Begegnung ist nicht mehr Existent. Spätestens seit WhatsApp, Telegramm und wie sie alle heißen ist es ein steter Standby.
Gerade dieses bewusste Ende macht uns aber klar, dass der Moment besonders und einmalig ist. Das alles endlich ist.
Wie sang der wunderbare Clueso schon im Jahre 2011:
“Wie man genießen kann, wenn man weiß das man geht,
man müsste ständig geh´n, das müsste ständig geh´n.
Wie man genießen kann, wenn man weiß, dass man geht,
so dass man anfängt, alles anders zu seh´n.“
Den Absprung finden...
Nun denn, wir müssen gehen. Wir wollen gehen.
Åland ruft und so zieht es uns zunächst zwanzig Meilen zum letzten Ankerstopp in Schweden. Ari segelt durch schmale Fahrwasser, die sich stetig um Untiefen winden, dann durch einen wenig breiten Sund in dem uns der Wind beinah verlässt und dann ständig dreht. Immerzu wird der Trimm korrigiert um bestmöglich voran zu kommen. Viel zu holen ist trotzdem nicht und so trösten wir uns mit dem immerhin abwechslungsreichen Ausblick zu beiden Ufern. Zum Abschluss öffnet sich das Wasser wieder und das nahende Gewitter füllt die Segel erneut mit reichlich Wind.
Mehr als den Wind und das Grollen bekommen wir glücklicherweise nicht ab. Es bleibt über Land hängen und der inzwischen erreichte Ankerplatz schützt uns super vor dem Wind. In den Baumkronen der nahen Schäre rauscht es ganz ordentlich, während am Fuße absolute Windstille herrscht.
Segler sind schon ein seltsames Volk…erst können sie kaum genug Wind bekommen und kurz darauf verstecken sie sich wieder vor ihm…
Von hier gehts rüber…
Knappe vierzig Meilen (ca. 74km) sind es von hier bis Mariehamn, Ålandinseln.
30 davon auf der offenen Ostsee. Lange waren wir in den Schären, wo Land nah und
eine geschützte Route immer zu finden ist. Wir sind schon ein wenig aufgeregt. Freudig aufgeregt, denn lang ist es her, dass kein Land in Sicht war. Hinzu kommen die Ålandinseln die ein bisschen, wie dieser Brief mit den sieben Siegeln sind. Man weiß, dass sie existieren, viel mehr aber auch nicht.
Wir starten mit drei Windstärken und ich maule etwas über den wenigen Wind. Das hätte ich lassen sollen, denn mit jeder Meile brist es auf. Nach dem ersten Drittel haben wir eine satte Sechs mit Böen bis in die sieben Beaufort. Die Segelfläche wird immer kleiner und die Wellen immer größer. Feinstes Ostseegehacke schaukelt uns durch. Die Wellen laufen kreuz und quer und reichen bis an die 1,5m heran. Zwischendurch mischen sich besonders große Dinger dazwischen, die immerhin aus der gleichen Richtung und immer in Dreiersets daherkommen. So können wir sie immerhin gut einschätzen und aussteuern.
In unserer Sichtweite sind noch zwei andere Segelboote unterwegs, wobei eines davon motort. Es rollt voller Elan vom einen Bug auf den anderen. Wir fragen uns, warum die Crew sich das antut und steuern dichter heran. Bis auf einen Gruß werden aber keine Zeichen gegeben. Also alles gut, die stehen wohl drauf.
So schunkeln auch wir weiter dahin, ehe sich am Horizont der Leuchtturm auf Lågskär abzeichnet, kurz darauf folgen die Windräder im Norden und inmitten der Ansteuerung hält die finnische Küstenwache ihre Position.
Wir mutmaßen warum und kommen zu dem Ergebnis, dass es das Empfangskomitee sein muss, denn nachdem wir drei kleinen Sportboote das Schiff passiert haben, dreht es ab und fährt zurück in seinen Hafen. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass da doch oft jemand ist, der uns kleinen Boote im Blick hat. Gerade bei „Wetter“ ein beruhigendes Gefühl.
Danke ihr Küstenwachen, DGzRS, SSRS und wie ihr auch alle heißen mögt. Schön, dass ihr da seid!
Kaum in die Schären eingetaucht, verschwindet der Seegang und nur der Wind bleibt. So gefällt uns das wieder! Mit 7kn pflügt Ari gut gerefft durch das Wasser nach Mariehamn. Dort angekommen, verwerfen wir den Plan des Ankerns und machen uns an einer der Bojen im Ankerfeld unweit des östlichen Gasthafens fest.
Im Hafenbüro möchte Shaima das Liegegeld zahlen, aber die Jungs versichern ihr, dass die Bojen nicht zum Hafen gehören, sie gebührenfrei seien und wir da liegen bleiben können. Na gut, dann machen wir das. Ein bisschen seltsam kommt uns das schon vor, aber wenn die Locals sagen, dass das passt…was sollen wir da anderes behaupten?
Während unserer Überfahrt war Shaima der Appetit vergangen. Der scheint nun mit voller Wucht zurückgekehrt zu sein. Das gesparte Liegegeld investiert sie prompt in große Portionen perfekter Pommes und superleckerer Burger, mit denen sie mich an Bord überrascht! Sie ist schon die Beste!
Diesem „Futter-Flash“ nach Seekrankheit sind wir schon mal begegnet. Das war auf einer Tour nach Amrum mit Karl, dem damaligem Eigner der Arikana. Damals hatte es Shaima teilweise und mich komplett umgehauen. Nur kurze Zeit nach unserem Einlaufen im Hafen, fanden wir uns aber bei Burgern, Fritten und Bier wieder. Karl schüttelte etwas verwundert den Kopf, war aber froh, dass seine Leichtmatrosen wieder wohlauf waren.
Wie dem auch sei…falls ihr nach Mariehamn kommt und auf (vegane) Burger steht, geht zu „Me Gusta Burgers“ direkt in der Fußgängerzone. Während unseres Aufenthalts waren wir dreimal dort! Wir süchtigen…
Mariehamn, du winzige Hauptstadt
Die nächsten Tage saugen wir den, wenn auch sehr beschaulichen, Trubel Mariehamns auf. Obendrein erfahren wir endlich mal etwas über das Land, welches dieses Jahr seine 100jährige Unabhängigkeit feiert.
Trubel ist ein wenig übertrieben, denn mit lediglich 11.000 Einwohner geht es doch recht gemütlich zu und das Zentrum ist entsprechend klein. Sehr klein sogar, was diese Hauptstadt irgendwie süß und sympathisch und für uns Fussgänger super ergehbar macht. Von West nach Ost, von Hafen zu Hafen also, entlang der „Allee der 1000 Linden“ sind es nur knappe tausend Meter. Dazwischen verteilt sich das Zentrum.
Insgesamt gibt es ca. 30.000 Ålander/innen, wovon 11.000 in der Hauptstadt leben. Der Rest verteilt sich auf ca. 60 der 6500 Inseln und um ein Gefühl für die Zahlen zu bekommen: Es teilen sich 19,2 Einwohner einen Quadratkilometer, während es in Deutschland 233 sind.
Mariehamn ist quasi die Hauptstadt und überhaupt die einzige Stadt, der weitestgehend autonomen Region. Es ist Finnland zugehörig, genießt aber derart große Selbstbestimmung, dass es gerade so am Status eines selbstständigen Staates vorbeischrammt. Für jeden sichtbar gemacht ist diese Unabhängigkeit durch die besonderen KFZ-Kennzeichen, eigenen Briefmarken und die Landesflagge. Deshalb bei der Einreise bloss nicht die finnische Gastlandflagge hissen! Amts- und Alltagssprache ist übrigens noch immer Schwedisch.
Das ganze Gebiet ist seit 1856 aufgrund der wiederkehrenden Spannungen Schwedens und Russlands entmilitarisiert. Das gilt noch heute und selbst die finnische Armee darf sich dort nicht ohne weiteres Aufhalten.
Ein spannendes Thema in das es lohnt sich einzulesen! Die bekannten Suchmaschinen werfen Unmengen dazu aus. Im Moment rückt das Thema wegen der "Ukraine-Krise" wieder in den Vordergrund und einige Stimmen würden die Neutralität gerne abschaffen. Der Großteil der ålandischen Bevölkerung ist allerdings entschieden dagegen.
Aber genug von der Politik. Kurz vor unserer Abfahrt tauschen wir unsere Boje gegen einen der 300! Gastplätze im Hafen. Wir wollen nochmal richtig heiß duschen, Wäsche waschen und unseren Proviant bequem aufstocken.
Der Hafen ist recht modern, gut in Schuss und wegen seiner Größe leider sehr anonym. Dafür gibt es allerhand zu sehen. Neben uns liegt beispielsweise eine hölzerne Schönheit, die keine eigene Maschine hat und auch sonst nur wenig Komfort bietet. Segeln pur also!
Zwei sehr verschiedene Welten liegen da nebeneinander, einzig die Länge haben sie gemein.
Die Saison hier oben ist schon recht fortgeschritten und wir möchten noch möglichst viel Zeit in Finnland verbringen. Außerdem ist die Natur der schwedischen sehr ähnlich. Somit ist Mariehamn unser einziger richtiger Stop in Ålandinseln. Wir verbringen zwar noch ein paar Nächte an den Schären auf dem Weg nach Osten. Das wars aber auch schon mit Åland…zumindest für den Moment. Gleichzeitig beschließen wir, nochmal mit mehr Zeit wiederzukommen und dann richtig in dieses besondere Land und seine Leute einzutauchen.
Die ersten Tage gen Osten ist feinstes Segeln, doch dann wechselt die Wettervorhersage recht spontan von „gut windig und sonnig“ auf „heftig windig mit Gewitter“. Es ist Zeit, unser Setup anzupassen. Kutter- und Backstage werden angeschlagen, die Sturmfock herausgekramt und das dritte Reff ins Großsegel gebunden.
Shaima ist wenig begeistert, während ich mich doch ein bisschen auf die Herausforderung freue. Beide sind wir aber froh, dass unsere Arikana, unser Zuhause, über die Bedingungen nur müde lächeln kann. Sie ist für noch ganz andere Umstände ausgelegt.
Zu viel des Guten?
Unter Sturmfock und dem Groß im dritten Reff rauschen wir durch den Schärengarten. Ich bin in meinem Element, während Shaima ab und an sorgenvoll zu mir herüberblickt. Meist, wenn Aris Segel sich nach einer Abdeckung wieder mit Wind füllen und sie sich auf die Seite legt um rasch an Fahrt zu gewinnen. Keine Sorge, wir segeln hier nicht am Limit! Ari bleibt jederzeit zahm und ist keineswegs übertakelt. Es sind nur ungewohnte und vor allem für Shaima neue/unbekannte Bedingungen. Dann folgt ein Stück hoch am Wind über die ungeschützte Ostsee und ich beginne dann doch mich schuldig zu fühlen. Es ist zu keinem Zeitpunkt gefährlich, aber schon sehr sehr fordernd. Habe ich mich falsch entschieden und die beiden unnötigen Strapazen ausgesetzt? Die wenigen Meilen sind wirklich eklig und ziehen sich. Aris wiederholtes hartes Eintauchen und abbremsen strengt an. Die überkommende Gischt und das geringe Tempo zehren zusätzlich. Uns dreien vergeht jeglicher Appetit und die Laune geht in den Keller.
Das bessert sich jedoch sofort, als wir den Kurs erneut ändern und vor den Wind gehen können. Es ist wirklich krass, wie anders sich die selben Bedingungen bei unterschiedlichen Kursen anfühlen und welche Auswirkungen das auf die Laune hat!
Das letzte Stück können wir wieder genießen. Wind und Wellen kommen wieder achterlich. Gleichzeitig stellt sich so etwas wie Stolz ein, dass wir uns den Bedingungen erfolgreich gestellt haben. Trotzdem, wir bleiben dünnhäutig und verwerfen den Plan, direkt den Hafen anzusteuern. Die Bedingungen sind „zu dick“ und unser Nervenkostüm zu dünn. Stattdessen gibt es ein ruhiges Ankermanöver hinter einer der Inseln…
Hier liegt bereits ein Finne, was unsere Entscheidung stärkt. Daran zweifeln wir allerdings am nächsten Morgen, als wir beobachten, wie das Paar seinen Anker nicht an Bord bekommt. Das Ding ist fest, aber so richtig! Erst vorsichtig, steigern sich die Manöver beinah ins Gewalttätige. Es schmerzt zu sehen, wie das ganze Schiff in die Kette kracht und der Anker trotzdem nicht loskommt. Nach einer halben Stunde wilder Manöver, Anker überfahren und von allen Seiten zerren, kommt er doch los und das Paar verschwindet.
Wir machen uns Gedanken, denn unser Anker hat am Vortag verdächtig schnell und gut gegriffen…dazu aber mehr im nächsten Eintrag.
Hallo ihr Lieben!
Das wird ja immer besser. Diesen Eintrag habe ich verschlungen… so lebendig geschrieben - ein Traum. Und dann baust Du auch noch einen Cliffhanger ein… Ich bin gespannt auf den nächsten Eintrag.
Liebe Grüße Christiane